
Sandra
„Jetzt bin ich dran!?“
Sandra
Verheiratet, Mutter von zwei Kindern, steht vor einer neuen Jobchance. Die letzte Zeit war geprägt von privaten Herausforderungen, Schwierigkeiten in der Beziehung. Eine Stimme in ihr wird immer lauter: Jetzt will ich mich auch mal um mich kümmern.
Du kennst Sandra noch nicht? Sie ist eine fiktive Figur. Lies hier die erste Etappe ihrer Kometenreise. Dieses Kapitel kann aber auch unabhängig gelesen werden, nur der erste Satz bezieht sich auf ihren letzten Beratungstermin.
Für die Frage mit dem Job hat sich eine Lösung gefunden, mit der ich sehr glücklich bin. Das Gespräch mit meinem Chef lief wirklich gut. Kaum war mein Kopf frei von dieser Sorge, war mehr Raum da für eine andere. Was sollte jetzt aus Lukas werden? Was bedeutete seine Autismus-Diagnose für ihn? Und für uns? Er steht auf einer Warteliste für einen Therapieplatz in einem Autismus-Zentrum. Das konnte ein paar Monate dauern, hatte man uns gesagt. Und was bis dahin? Wie sollten wir mit der Situation umgehen?
„Kannst du nicht mal mit Stephanie darüber reden?“, hatte Simon mich eines Abends gefragt.
Zunächst fasste ich Stephanie Lukas Geschichte zusammen, darin hatte ich inzwischen Übung. Sie hörte zu und fragte mich anschließend: „Wo liegt das Problem?“
„Lukas ist Autist, das wissen wir jetzt.“
„Ja, das wissen wir jetzt und wo liegt das Problem?“
„Autismus …“
„Nein.“
„Nein?“
„Nein. Der Autismus ist nicht das Problem. Lukas ist nicht das Problem.“
„Natürlich ist Lukas nicht das Problem. Wir lieben ihn!“
„Siehst du. Das ist der erste Schritt.“
„Und was ist der Zweite?“
„Das hängt davon ab, wo das Problem ist.“
Genau das musste ich hören. Lukas ist nicht das Problem. Autismus ist nicht das Problem. Lukas Lehrerin hat uns ganz wahnsinnig gemacht damit, dass mit unserem Sohn etwas nicht stimme, und dass wir das lösen müssen. Immer wieder fragte sie nach, wann Lukas mit der Therapie beginnen dürfe.
„Wir müssen Lukas nicht ändern“, sagte ich und es tat gut, das auszusprechen. Wenn dem so war, war der Begriff Autismustherapie dann nicht irreführend? Deutete das nicht an, dass die Therapie etwas gegen den Autismus bewirken würde?
Stephanie erklärte mir, dass Autismus nichts sei, was man heilen könnte. Es werde noch viel geforscht, aber es scheine ihr sicher, dass es eine gewisse genetische Grundlage gäbe, und sie erklärte anschaulich die Unterschiede in der neurologischen Entwicklung. Das leuchtete mir ein und ich hätte mir gewünscht, dass der Arzt, der Lukas Diagnose gestellt hatte, uns das so erklärt hätte.

„Was machen wir denn jetzt?“, fragte ich ratlos.
„Wenn ich es bei dir richtig heraushöre, liegen die Probleme in der Schule, oder? Im Kindergarten ist er ganz gut zurecht gekommen?“
„Ja. Ich bin geneigt zu sagen, dass Lukas Lehrerin das Problem ist, aber eigentlich glaube ich, hat sie es nur gut gemeint. Sie wollte ihm nur helfen. Seit seiner Diagnose scheint sie von uns zu erwarten, dass irgendwas passiert, dass sich etwas ändert.“
„Wünschst du dir, dass sich etwas ändert?“
„Ja, auf jeden Fall. Es geht Lukas nicht gut in der Schule.“
„Gut. Was fällt ihm schwer?“
Wir näherten uns dem Problem. Die Lehrerin hatte uns einiges erzählt, was Lukas Schwierigkeiten bereitete und inwiefern er sich anders verhielt als andere Kinder. Gemeinsam mit Stephanie versuchte ich die Situationen mit der autistischen Perspektive zu betrachten.
„Es ist erstaunlich, dass er im Kindergarten so gut klar gekommen ist“, stellte ich schließlich fest.
„Nachdem, was du mir erzählt hast, hatte er dort mehr Freiraum und durfte er selbst sein.“
„Ja, das durfte er. Bei den Gruppenspielen hat er auf seinem Stuhl gesessen und zugesehen. Seine Erzieherin hat ihn immer wieder ermuntert, aber in Ruhe gelassen, wenn er nicht wollte. Es gab nicht diesen Druck wie in der Schule.“
„Das könnte ihm helfen, den Druck rauszunehmen.“
„Wie soll das gehen? Er muss doch lernen.“
„Müssen ist ein hartes Wort. Die Frage ist doch eher, wie kann er lernen?“
„Wenn Lukas Gehirn anders tickt, als das anderer Kinder, braucht er vielleicht anderen Unterricht? Muss er in eine Sonderschule?“
„Schon wieder müssen? Nehmen wir mal deinen ersten Gedanken auf, vielleicht braucht er anderen Unterricht. Ist seine Grundschule inklusiv?“
„Ja, aber er hat keinen Inklusionsplatz.“
„Bisher hatte er auch noch keine Diagnose.“
„Das stimmt. Bisher hat die Lehrerin von uns etwas erwartet. Sollte sie nicht Teil der Lösung sein? Sollte sie nicht Lukas helfen?“
„Es kann sein, dass sie dabei Unterstützung benötigt, ihre Expertise ist es Grundschullehrerin zu sein. Wir wissen nicht, wie viel sie über Autismus weiß. Es gibt viele Mythen über Autismus, die ein falsches Bild vermitteln. Es könnte ein guter Weg sein, gemeinsam mit ihr zu schauen, wie der Unterricht für Lukas besser gestaltet werden kann. Wir haben ja eben schon über einige Punkte gesprochen, die für ihn schwierig sind. Vielleicht kann ein*e Sonderpädagog*in hinzugezogen werden. Vielleicht könnte Lukas auch eine Schulbegleitung bekommen. Es gibt viele Möglichkeiten Lukas und auch seine Lehrerin zu unterstützen.“
„Das wäre schön.“
Ich fragte Stephanie noch, ob sie auch mit der Lehrerin sprechen würde. Sie sagte zu, dass sie zu einem gemeinsamen Gespräch mit mir und der Lehrerin bereit wäre, um Lösungen im schulischen Bereich zu finden. Erst einmal würde ich selbst mit der Klassenlehrerin reden und schauen, wie wir gemeinsam die Situation für Lukas verbessern können.
Sandra ist eine fiktive Figur, sie soll dir zeigen, wie eine systemische Beratung aussehen könnte.
Lies hier mehr über sie und meine anderen Figuren.
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