Eine systemische Haltung ist geprägt von Offenheit und gleichzeitig sind wir Menschen und als diese wirken in unser aller Köpfe Stereotype. Wir sind Teil eines Systems, in dem Gerechtigkeit ein Privileg zu sein scheint.

Diversität ist ein wichtiges Thema, gesellschaftlich, sowie für Beratung und Therapie. Diesem Thema widmete sich Jonathan Czolleck auf dem Fachtag Zuversicht & Zumutung:

In einem Podiumsdialog wollen wir gemeinsam darüber nachdenken, was es bedeutet, die radikale Verschiedenheit von Menschen anzuerkennen. Wir fragen danach, was genau systemische Therapie und Beratung gerechter und diskriminierungskritischer machen könnte.

Aus dem Programm zum Fachtag Zuversicht und Zumutung

Auf dem Podium mit dabei waren Verred Grünberg, Kira Dücker, Samja Zierott und Cornelia Hennecke.

Bühne mit fünf Personen für die Podiumsdiskussion

Jonathan leitete ins Thema ein mit der These, dass Diversität mehr sei als Sprache. Es gehe um sehr viel: Ableismus, Klassismus, Lookismus, Sexismus, Agismus, Adultismus, Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung Ost, …

Siehe hierzu auch das nachfolgende Foto, auf dem eine Folie zu Diversity zu sehen ist.

Das Podium hätte also sehr voll sein können, um all diese Felder abzudecken. Es steht ein leerer Stuhl mit auf der Bühne, der für all die Perspektiven steht, die nicht auf dem Podium sitzen.

Podium auf der Bühne. Zu sehen ist die Präsentation einer Folie zu Diversity . Dargestellt ist die Komplexität des Themas mit zahlreichen Facetten.

Nachfolgend einige der Fragen, die Jonathan ans Podium stellte und ausgewählte Antworten dazu:

Warum macht ihr das, was ihr tut?

Sonja sieht es als Aufgabe der Psychotherapie, sich für Menschenrechte einzusetzen. Strukturelle Diskriminierung bringt Menschenrechte und die psychische Gesundheit in Gefahr. Wer findet überhaupt einen Therapieplatz?

Kira bezieht sich in ihrer Antwort auf die Keynote von Natalie Knapp: „Leerstellen sichtbar machen“.

Woran merke ich, dass die Person sich mit Diversity befasst hat?

Vielleicht merken wir es erst einmal gar nicht, meint Verred. Es können kleine Dinge für Betroffene sein, die sie merken lassen, hier gibt es eine Offenheit. Es ist möglich etwas anzusprechen.

Sonja betont, dass es in der Therapie nicht um politische Bildungsarbeit geht. Die Frage lautet: Wer kommt in den Raum?  Ihr ist wichtig, dass angemessene räumliche und Kontextbedingungen geschaffen werden. Die Klient*innen sollen sich nicht rechtfertigen oder offenbaren müssen.

Conni erinnert uns daran, uns der machtvollen Position bewusst zu sein, die wir mit unserer Rolle haben.

Diskriminierung können wir nie voll ausschließen, sagt Kira. Klient*innen testen uns mit subtilen Aussagen. Sie erzählt von einer persönlichen Erfahrung.

Reicht die Systemische Haltung?

Die Systemik kommuniziert stark über Haltung, sagt Sonja. Sprache hat eine Wirkmacht und wir haben die Objektivität aufgegeben. Der Status Quo zeigt, dass das anscheinend nicht ausreicht.
Es beginnt mit der Haltung der Offenheit. Wir brauchen auch Wissen aus Diskriminierungskritik.

Kira schlägt vor, dass wir uns fragen, wer in unsere Praxis kommt und was wir tun müssen, damit auch andere kommen.

Dazu ergänzt Verred, dass es hilfreich ist die unterschiedlichen Lebensrealitäten auf dem Schirm zu haben Jüd*innen kämen selten in den Ideen der Menschen vor. Es gilt einen Raum zu schaffen, wo diese über transgenerationale Traumata sprechen können.

Aktuelle Problematik des zunehmenden Rechtsruck und explizite Bedrohungen

Es geht um das Hier und jetzt, sagt Kira. Wir können Haltung zeigen und in Handlungsschritte übersetzen. Wir können Möglichkeitsräume erweitern. Wie können wir jetzt einen Unterschied machen?

Offene Fragerunde

Abschließend durften wir noch Fragen stellen und eine fand ich besonders wertvoll: „Wie kann unsere Community diverser werden?“

Der Zugang zu therapeutischen Berufen ist dabei ein starkes Hindernis.

Einen weitere Idee habe ich mir notiert, weiß nicht mehr von wem sie kommt: Grundlegende Bedarfe zu erfragen darf in unseren Alltag übergehen, an alle Menschen.

Was ich für mich mitnehme:

Die Systemische Haltung gibt mir eine gute Grundlage für eine offene und diverse Haltung. Sie alleine reicht nicht aus. Auch mein Beratungsangebot hat Grenzen und Barrieren, die offensichtlichste ist der Kostenfaktor. Ein weiterer ist die Sprache. Ich arbeite sprachlich, ausschließlich auf deutsch. Schriftlich gestützt ist möglich, ebenso wären es Untertitel in der Online-Arbeit.

Ganz wichtig ist, mich weiterhin selbst zu beobachten, zu reflektieren und zu hinterfragen. Ich darf weiterhin lernen. Von meinen Klient*innen lerne ich viel und gleichzeitig dürfen sie nicht dafür bezahlen, dass ich lerne!

Das Ziel von Systemischen Fragen ist hilfreich zu sein, nicht meine Neugier zu befriedigen oder Wissenslücken aufzufüllen. Und  was bedeutet in diesem Kontext Wissen? Ich arbeite gerne mit Autist*innen und es gibt den Spruch „Kennst du einen Autisten, kennst du einen.“ Diesen würde ich erweitern auf alle Schubladen, in die Menschen einsortiert werden könnten. Jede dieser Schubladen ist ein Konstrukt. Mit jedem Konstrukt gehen möglicherweise Diskriminierungen, gemeinsame Erfahrungen und Sensibilitäten einher.  Gleichzeitig geht es um ganz individuelle Lebensrealitäten und um diese geht es in Beratung und Therapie.

#SeiDuSelbst

Mit diesem Aspekt meiner Arbeit hadere ich immer wieder in den letzten Wochen. 

Kann ich Menschen ermutigen, sie selbst zu sein?

Vor der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Lage? 

Diese Frage spukte mir auch im Kopf, während ich dem Podium zuhörte. Und ich fühlte mich bestärkt und ermutigt.

Meine Grundüberzeugung ist: Die Lösung liegt in dir. Ich begleite dich, sage dir, nicht was du tun sollst.

Was genau bedeutet im Kontext meiner Arbeit also #SeiDuSelbst?

Ich möchte dich gerne dabei begleiten, dich selbst besser kennen zu lernen, deine Bedürfnisse, Stärken, deine eigene Lebensgeschichte. Ich möchte mit dir auf Ressourcenschatzsuche gehen und auf die Suche nach Lösungen für das, was du für dich aktuell als Problem definierst.

Ich bin davon überzeugt, dass mentale Gesundheit stark mit der eigenen Selbstreflexion verbunden ist. Damit unsere eigenen Verhaltensmuster zu kennen, zu verstehen woher sie kommen. Damit unsere eigenen Emotionen und Bedürfnisse zuzulassen.

Und dann können wir bewusst entscheiden, wie viel wir nach außen hin wir selbst sind. Wann maskieren wir bewusst und gehen in eine Rolle?

Autismustherapie nehme ich häufig als Maskierungstraining wahr. Lerne „normal“ zu sein, angepasst. Das kostet unfassbar viel Energie und birgt meiner Meinung nach ein Risiko für die Entwicklung von Depressionen und anderen Störungsbildern.

Ich bin davon überzeugt, je mehr du du selbst bist und bewusst entscheidest, in welche Kontexte du dich begibst und wie du in diesen auftreten möchtest, desto größer sind die Chancen auf mentale Gesundheit.  Dazu braucht es Selbstbewusstsein  im Sinne des Wortes, sich selbst bewusst sein und einen gestärkten Selbstwert.

Dies ist ein Thema für uns alle und für mich daher weiterhin eine wichtige Basis für meine Arbeit.

Wer bist du und wer möchtest du sein? Und ganz systemisch denken wir die verschiedenen Kontexte mit.

Ich denke, das ist nicht nur ein Thema für Beratung und Therapie, sondern auch ein gesellschaftliches. Wie Natalie Knapp sagte, wir alle können Einfluss nehmen, strahlen und wirksam sein.

Kontext: Fachtag „Zuversicht und Zumutung“

Am 14. Juni fand der Fachtag anlässlich des 50. Geburtstages des IF Weinheim statt, dem ersten deutschen systemischen Ausbildungsinstitut.

Über die Veranstaltung habe ich in meinem anderen Blog geschrieben

Schön, dass es dich gibt! Rassismuskritik mit Amma Yeboah beim Fachtag Zuversicht & Zumutung

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