Am 23. Juni gab es in Bonn eine großartige Veranstaltung im KULT41 und der Fabrik45, den Autismus Pride Day.

Der offizielle Pride Day ist am 18 Juni und dieser Tag ist bedeutsamer als der 2. April. „Vergesst den 2. April“, sagte ein Teilnehmer der abschließenden Podiumsdiskussion. Der Pride Day ist von und für Autist*innen, ein Tag echter Sichtbarkeit und kein Tag, der in enger Verbindung mit sinnfreien Therapiemethoden steht, wie der „Welt-Autismus-Tag“.

Und genau so habe ich den Tag erlebt. Es waren viele Menschen aus dem Autismus Spektrum anwesend. Natürlich kann ich es nicht über jede einzelne Person sagen. Was für mich spürbar war, dass es gelungen ist einen Ort zu gestalten, an dem viele sich erlauben konnten, weniger zu maskieren. Sie durften einfach sein und ich wünsche mir, dass dies viel mehr möglich und selbstverständlich wird.

Autist*innen sind wundervolle Menschen und es könnte so einfach sein, es ihnen nicht unnötig schwer zu machen. Wir brauchen nur zuhören und fragen, was sie brauchen.

Und falls noch irgendwer glaubt, Autist*innen seien nicht zu Empathie fähig, dann besuche mal so ein Event. Ich habe mehr als ein Taschentuch verteilt, an empathische Autist*innen, denen Tränen kamen, während andere ihre Geschichte erzählt haben!

Frag dich stattdessen einfach mal selbst, wie empathisch du mit neurodivergenten Menschen sein kannst? Gelingt es dir mitzufühlen, wenn du eine andere Art zu denken nicht nachvollziehen kannst? (Stichwort Double Empathy Problem)

Vortrag von Angela Sichelschmidt über Glück

Ja, verdammt Autist*innen können auch glücklich sein!

Sie sind Menschen, auch wenn sie sich oft wie Aliens fühlen. Ich traf eine coole Person mit Alien-Tattoo.

In ihrem Vortrag gab Angela Einblicke in ihre therapeutsiche Arbeit mit Autist*innen. 

Riley über Autismus und Trans

Mein persönliches Highlight war Rileys Vortrag. Frei erzählt Riley uns von persönlichen Erfahrungen als nonbinäre autistische Person.

Verschiedene Studien weisen inzwischen daraufhin, dass es eine Schnittmenge zwischen Autismuspektrum und Transsexualität gibt. Transsexualität definiert Rily so schön auf den Punkt: „alles, was nicht cis ist“.  Es sind etwas 10-15% der Personen aus dem Autismusspektrum auch trans, je nach Studie. Hierzu gibt es verschiedene Theroien, auf die Riley auch kurz einging.

Für Riley wäre es wertvoll gewesen früher eine Autismusdiagnose zu erhalten, denn die Hormontherapie habe teilweise heftige Reizüberflutung ausgelöst. auch die Brust-OP. Darauf besser vorbereitet zu sein, hätte hilfreich sein können. Ebenso, wenn das Klinikpersonal darauf senisbilitiert wäre, gerade weil viele Patient*innen eben auch Autist*innen sind und damit besondere Bedürfnisse einher gehen.

Riley hatte ein großes Bedürfnis sich selbst besser kennen zu lernen und dies auch mit therapeutischer Begleitung zu tun. Dieses Bedürfnis teilen viele Personen, insbesondeere Autist*innen, die ihr Leben lang lernen, zu maskieren, und Transpersonen, denen eine Geschlechtsidentität zugeschrieben wird, die nicht zu ihnen passt. Und wenn dann beides gemeinsam auftritt, vermag ich mir nicht vorzustellen, wie schwer es sein muss, sich zugehörig zu fühlen.

Und es gibt eine verfluchte Lücke in unserem Hilfesystem. Ahnungslosigkeit, die dazu führt, dass Menschen nicht ernst genommen werden, in ihrem Sein, mit ihren Bedürfnissen und wünschen. Ein großes Problem, das mit an diesem Tag mehrfach begegnete scheint eine gewisse Infantilisierung zu sein. Wie kann es sein, dass erwachsene Autist*innen, sic wie kleine Kinder behandelt fühlen?

Daher bin ich Menschen wie Riley dankbar, wenn sie ihre persönliche Geschichte erzählen. Für mich und für alle, denen es ähnlich geht. Es kann so hilfreich sein, sich mit den eigenen Fragen nicht alleine zu fühlen und es ist so wichtig, dass wir offen sind für die Diversität der Menschheit, die bisher nicht offen gelebt werden durfte.

Ich wünschte, ich könnte noch mehr von Rileys Worten wieder geben, der Vortrag hat mich sooo sehr berührt und ich kann die Inhalte im Nachhinein nicht mehr von meinen eigenen Gedanken trennen. Gut, dass ich Bloggerin und keine Journalistin bin.

Später am tag habe ich mit Riley sprechen können. Es war der erste Vortrag dieser Art, auf der Bühne hat Riley schon gestanden und eigene Texte vorgetragen in Poetry Slams. Und es war großartig!

Kunst

In der Fabrik 45 gab es parallel eine Kunst-Ausstellung von Autist*innen, die es dort übrigens regelmößig gibt.

Ich habe so viele beeindruckende Kunstwerke gesehen. Nicht alle, aber einige Autist*innen denken in Bilder, wie Temple Granding es beschreibt. Es ist eine Ausdrucksform und auch eine Möglichkeit erlebtes therapeutsich aufzuarbeiten.

Autismus ist ein Sprektrum, also sind weder alle Künstler*innen, noch mathematisch begabte Sheldon Coopers.

Besonders beeindruckt hat mich die Kunst von Heiko, der an diesem Tag einen Stand hatte. Er war mit seiner Lebensgefährtin vor Ort, die ihn unterstützt und mir Einblicke in die Entstehung seiner Werke gegeben hat.Ich habe mir einen Beutel und Poskasten von ihm mitgenommen und wenn ich irgendwann doch eigene Praxisräume habe, würde ich mir sehr gerne eines seiner Gemälde dort aufhängen. Schaut euch mal in seiner virtuellen Galerie um.

Lesung von Stephanie Meer-Walter „Autistisch? Kann ich fließend“

Sie kann nicht für alle sprechen, nur für sich und das tut sie in diesem Buch. Sie erzählt ihre Geschichte als spät diagnostizierte weiblich gelesene Autistin. Bis hin zu ihrer Erkenntnis, eigentlich nonbinär zu sein.

Wir brauchen solche Bücher dringend. Geschichten von Autist*innen, in denen sich andere wieder finden können und Menschen ausßerhalb des Spektrums Einblicke erfahren können, wie es sein kann, die Welt anders wahrzunehmen. Es ist ein möglicher Weg, um aufeinander zu zu gehen.

Theater Mittendrin

Bisher habe ich eigentlich nur fertige Theaterstücke auf der Bühne gesehen. Es sei denn ich habe eine Probe besucht. Dieses inklusive Theateresnemble hat uns Ausschnitte aus ihrem Stück gezeigt, welches noch gar nicht fertig ist. Einzelne Szenen werden bereits grandios gespielt, bevor die Story fertig gestellt ist. Das passt so wunderbar zu meiner Art zu schreiben.

Das Ensemble ist gemischt, Menschen mit und ohne Behinderungen spielen gemeinsam und was sie alle teilen ist die Liebe zum Theater und die war deutlich spürbar. Auch ein besonderes miteinander auf der Bühne.

Wenn ihr die Möglichkeit habt, diese Gruppe auf der Bühne zu erleben, ergreift sie unbedingt, sie sind großartig. 

Gedicht von Angie

Ich vermag es nicht wieder zu geben. Angie trug ihr eigenes Gedicht mit musikalischer Untermalung vor und es war großartig.

Die neben mir sitzende Person brachte es auf den Punkt: „Fühle ich!“

Vortrag von Mark Benecke

Sehr bedacht auf den Ausschluss jeglicher Störung und Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse des Publikums, hat er seinen Vortrag gehalten. Nur einen Wunsch kann er nicht erfüllen: langsam sprechen.

Es war eine beeindruckende Mischung aus wisssenschaftlichen Fakten und persönlichen Geschichten. Er hat genialen Bezug genommen auf die vorherige Lesung von Stephanie.

Seine Botschaft ist klar: Es könnte so einfach sein!

Der Vortrag wurde aufgezeichnet: 

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Podiumsdiskussion zum Thema Sichtbarkeit

Vier Personen setzten sich auf die Bühne und erzählten ihre Geschichten, moderiert von Angela Sichelschmidt.

Gesehen und akzeptiert werden ist ein starker Wunsch. Zu Recht würde ich sagen. Ihre Erfahrungen sind sehr unterschiedlich und keineswegs durchweg positiv.

Sie haben alle Mobbing, Unverständnis und Ableismus in unterschiedlichen Ausprägungen erlebt, ebenso den Drang zu maskieren, um akzeptiert zu werden, teilnehmen zu dürfen.

In jeder Geschichte steckt auch Hoffnung. Es gibt Situationen, in denen sie einfach sie selbst sein dürfen, ohne Maske. Die Diagnose scheint hilfreichh zu sein, sich selbst zu verstehen und kennen zu lernen.

Der Weg dahin ist unterschiedlich und für viele ein langer. Es wird als Glück bezeichnet, verständnisvollen und hilfreichen Menschen im Hilfesystem zu begegnen. Ich würde sagen, das sollte selbstverständlich sein. 

Mein Fazit

Es war ein wundervoller Tag, mit persönlichen Begegnungen und vielen Eindrücken.

Herzlichen Dank an die Veranstaltenden, fleißigen Helfenden und allen, die zu diesem großartigen Event beigetragen haben!

Ich freue mich auf den Autismus Pride Day 2025!