Nach dem lösungsfokussierten Ansatz von Steve de Shazer werden Problem und Lösung getrennt voneinander betrachtet. Was genau das bedeutet und warum ich diesen Ansatz als wertvoll für meine Beratungsarbeit halte, möchte ich mit diesem Beitrag darstellen.
Durch diese Trennung ist eine Problemanalyse nicht zwingend notwendig für den Prozess. Bei einer Problemanalyse geht es darum, das Problem zu verstehen. Worin genau besteht es? Woher kommt es? Was sind Auslöser für problematisches Verhalten? Das kann durchaus sinnvoll sein, ist aber nicht immer notwendig.
Zwei Grundannahmen sind für den lösungsfokussierten Ansatz wichtig: Eine Person hat nicht ein Problem, sondern sie konstruiert es und damit wird das Problem zum Problem.
Erst in dem Moment, wo du ein Verhalten oder eine Situation zu einem Problem erklärst, wird dies dazu.
Kleines Beispiel: Jemand rempelt dich im Bus an, merkt es nicht und entschuldigt sich auch nicht. Du hast verschiedene Möglichkeiten damit umzugehen. Du könntest denken, das kann ja mal passieren, du bist ja nicht verletzt, alles halb so wild. Es besteht kein Problem. Vielleicht hast du eh schon schlechte Laune und dann passiert auch noch das und du beginnst dich über die unachtsame und unfreundliche Person zu ärgern. Diese Gedanken trägst du noch ein paar Stunden mit dir herum, bis du diesem Ärger irgendwie Luft machst. Ein Problem wurde konstruiert. Während du die Geschichte dann erzählst, kommst du vielleicht dahin, zu erkennen, dass du sie auch anders erzählen könntest. Jemand war in Eile beim Aussteigen aus dem vollen Bus, hat dich versehentlich angerempelt und es ist nichts weiter passiert.
Die zweite wichtige Grundannahme lautet: Du besitzt bereits die nötigen Ressourcen für die Lösung. Du kennst sicher das Gefühl, den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen, wie es sprichwörtlich heißt. Wir alle haben schon erfolgreich zahlreiche Probleme gelöst. Wir können das. Manchmal stecken wir aber zu sehr im Problem fest, um uns in Richtung Lösung zu bewegen.
Der lösungsorientierte Beratungsprozess ist für mich als Beraterin immer spannend. Es geht darum, neue Perspektiven zu eröffnen, neue Wege zu entdecken für andere Verhaltensweisen. Dabei bleibe ich Prozessbegleiterin und die Expertise für dein Problem bleibt jederzeit bei dir.
Es entstehen im Prozess möglicherweise kleine Experimente, die du im Alltag für dich ausprobieren kannst.
Was ist eine Lösung?
Es ist die Auf-Lösung des Problems, eine Veränderung, ohne das Problem zu verneinen. Es geht um ein stattdessen. Dabei können sich zum Beispiel Blockaden auflösen und du wirst wieder handlungsfähig.
Im Prozess verlässt du den Problemraum und gehst in den Lösungsraum, diese neue Perspektive bietet neue Möglichkeiten. Somit wird der Lösungsraum zum Möglichkeitsraum und du entscheidest, was du für dich möchtest. Wie möchtest du handeln?
Die Gesamtsituation verändert sich durch diesen Perspektivwechsel. Du verleihst einzelnen Elementen eine neue Bedeutung.
Musterunterbrechung
Ein nützlicher Weg zur Lösung kann eine Musterunterbrechung sein, einfach mal etwas anders machen.
Schauen wir uns das Beispiel eines Ehepaares an.
Wenn wir sie getrennt voneinander befragen, sagt er: »Sie nörgelt ständig an mir rum« und sie sagt: »Er meckert immer«.
Wir könnten folgende Situation beobachten. Der Ehemann kommt von der Arbeit nach Hause, er ist gestresst und angespannt. Sie ist bereits vor ihm zu Hause und gerade mit etwas beschäftigt. Er fragt: »Was gibt es zum Abendessen?« Sie hört: ›warum ist das Essen noch nicht fertig?‹ oder ›wann gibt es endlich Essen?‹, an guten Tagen vielleicht einfach nur ›ich habe Hunger‹.
Sie reagiert entsprechend unfreundlich. Eventuell bricht hier schon direkt ein Streit aus. Möglicherweise erst später. Bei beiden entsteht auf jeden Fall das vertraute Gefühl, dass er meckert und sie nörgelt.
Ein Weg wäre, das Problem zwischen den beiden zu ergründen. Was steckt dahinter? Wie ist die Beziehung zueinander? Welche Beziehungsmuster haben die beiden seit der Kindheit entwickelt? All das kann wertvoll sein und systemisch angegangen werden.
Ein lösungsorientierter Weg wäre eine Musterunterbrechung in der Situation, in der das Problem entsteht.
Wir können den Mann fragen, wie er sich in dieser Situation mal anders verhalten könnte. Dann würden wir weiter fragen, was er denke, wie sie darauf reagieren würde.
Ebenso könnten wir die Frau fragen: »Mal angenommen sie würden auf die Frage ihres Mannes ganz anders reagieren, was könnte passieren?«
Eine Musterunterbrechung von einer Person, könnte zu einer vollkommen anderen Situation zwischen den Beiden führen. Systeme sind wie Mobiles, verändert eine Person ihr Verhalten, hat das Auswirkungen auf die anderen Personen im System.
Ebenfalls nützlich wäre ein Reframing der Situation. Wir würden die Frau fragen: »Mal angenommen, ihr Mann erwartet gar nicht von Ihnen, dass das Essen fertig oder zumindest bald fertig ist? Was könnte sein Satz noch bedeuten?«
Eine völlig neue Perspektive auf die vertraute Situation. Es könnte schlicht der Wunsch nach Informationen sein. Möglicherweise schwingt in seinem Tonfall der Stress des Tages mit. Vielleicht möchte er auch einfach wissen, wie viel Zeit er noch für sich hat, bis das Abendessen fertig ist … Es sind einige Alternativen vorstellbar zu der Interpretation, die die Frau stets wählt, dass er ihr Stress macht und immer meckert. Was wirklich im Kopf des Mannes vorgeht, weiß höchstens er selbst.
Wunderfrage
Die gestellten Fragen zielen nicht darauf, das Problem zu verstehen oder gar die Hintergründe zu analysieren, sondern darauf, wie eine mögliche Lösung aussehen könnte.
Mit der Wunderfrage wird eine nahe Zukunft erlebbar, in der das Problem bereits gelöst ist. Nachfragen beziehen weitere Personen ein, die bemerken, dass das Problem gelöst wurde. Entscheidend ist hiebei möglichst konkret zu erfahren, was nun anders ist.
Mit der Zielzukunft vor Augen lässt sich der Weg dorthin leichter finden.
Die Wunderfrage führt zur Entdeckung von Möglichkeiten. Eine Variante der Wunderfrage liest du in Matthias Kometenreise
Ich liebe es lösungsfokussiert zu arbeiten
Das Besondere für mich am lösungsfokussierten Arbeiten ist, mit Neugier und Offenheit in die Sitzung zu gehen. Es erscheint mir manchmal so, als würde ich mit meinen Fragen verschiedene Türen öffnen. Mein*e Klient*in entscheidet, durch welche Tür wir gemeinsam gehen und plötzlich befinden wir uns in einem Lösungsraum.
Wenn ich zu Beginn, während der Klärung des Anliegens einen Lösungsraum benennen sollte, wäre es selten der, den wir betreten. Ich kenne den Weg dorthin nicht, den kennt mein*e Klient*in. Er oder sie hat ihn allerdings noch nicht klar vor Augen, also gehen wir gemeinsam los.
Und was dann im Lösungsraum passiert, ist manchmal wie ein Feuerwerk. Es ergeben sich Erkenntnisse und neue Möglichkeiten. Andere würden vielleicht sagen, das war doch klar. Keineswegs! Und es ist jedes Mal wunderbar, diesen Prozess begleiten zu dürfen.
Oft findet hier der Abschied statt. Ich verlasse den Lösungsraum und mein*e Klient*in geht von hier aus selbstständig weiter.
Es ist durchaus möglich, dass wir uns im Flur bzw. auf einem neuen Weg wieder begegnen, gemeinsam neue Pfade und Türen erkunden, bis er oder sie einen neuen Lösungsraum gefunden hat.
Literatur:
de Shazer, Steve & Dolan, Yvonne (2008). Mehr als ein Wunder: Lösungsfokussierte Kurztherapie heute. Carl-Auer.
Sparrer, Insa (2010). Einführung in Lösungsfokussierung und systemische Strukturaufstellungen. Carl-Auer Compact, 2. Auflage.