Wegkreuzung in hügeliger Landschaft, Hinweistafel mit "Sandras Kometenreise"
Sandra

„Jetzt bin ich dran!?“

Sandra

Verheiratet, Mutter von zwei Kindern, steht vor einer neuen Jobchance. Die letzte Zeit war geprägt von privaten Herausforderungen, Schwierigkeiten in der Beziehung. Eine Stimme in ihr wird immer lauter: Jetzt will ich mich auch mal um mich kümmern.

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Du kennst Sandra noch nicht? Sie ist eine fiktive Figur. Lies hier die erste Etappe ihrer Kometenreise.

Lukas hatte es gutgetan, mit Stephanie zu sprechen und ich vereinbarte weitere Termine für ihn, die er alleine mit ihr verbrachte. Ich blieb in der Nähe, falls sie mich brauchten. Stephanie konnte mich jederzeit anrufen, falls Lukas weglaufen würde und ich es nicht bemerkte oder ich dazu kommen sollte. Lukas würde mich einfach rufen.

Meinem Wunsch, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen, kam ich ebenfalls nach. Es sollte in meinem Leben wieder mehr um mich gehen. Ich war nicht nur Mutter, Ehefrau und Angestellte. Ich wollte einfach wieder mehr Sandra sein.

Autismus Detektiv

Stephanie schlug vor, dass wir an meinem Selbstwert arbeiten könnten. Den Termin zu vereinbaren sei der erste Schritt in diese Richtung gewesen, dass ich es mir selbst wert sei, mir Zeit für mich und meine Themen nehmen wollte. Selbstwert war für mich ein Begriff der Leistungsgesellschaft gewesen, etwas wert sein, genug verdienen, genug leisten. Es geht um so viel mehr. Auch in liebenswert, steckt das Wörtchen wert, aber das muss nichts monetäres sein. Es gibt viele Werte und diese besagen schlicht, was uns wirklich wichtig ist. Finanzielle Werte sind davon nur eine Möglichkeit.
Stephanie grenzte den Selbstwert noch zu ähnlichen Begriffen ab. Selbstvertrauen sei die Einstellung, sich auf sich selbst verlassen zu können, die Überzeugung, dass man die Fähigkeiten hat, die eigenen Ziele zu erreichen. Auch das Selbstbewusstsein bezieht sich auf den Glauben an die Erreichung der eigenen Ziele. Es geht darum, die eigenen Fähigkeiten und Eigenschaften zu kennen, sich dieser bewusst zu sein. Es ist im Gegensatz zum Selbstvertrauen stärker mit einer selbstsicheren Wirkung nach außen verbunden. Ein mir weniger geläufiger Begriff ist das Selbstmitgefühl, eine sich selbst zugewandte Haltung, besonders dann, wenn es schwierig wird.

Dann stellte Stephanie mir nacheinander drei spannende Fragen:

  • In der Nähe welcher Menschen fühlst du dich wertvoll?
  • Wenn dein Selbstwert besser wäre, was wäre dann anders? Was würdest du tun?
  • Was hast du bisher getan, was deinen Selbstwert gestärkt hat?

Es tat mir gut, die Menschen aufzuschreiben, bei denen ich mich wertvoll fühle. Es kamen einige zusammen. Natürlich kamen mir auch andere Personen in den Sinn, aber die verschwanden gleich wieder aus meinen Gedanken, weil mein Fokus auf der Aufgabe lag.
Was wäre anders? Alles, es wäre einiges viel leichter und ich würde mich besser fühlen, stärker, glücklicher, weniger hilflos oder verzweifelt. Ich würde zuhause mehr für meine eigenen Wünsche einstehen, auf der Arbeit mehr von meinen Ideen umsetzen, was ich mich zu oft nicht traue. Das wäre schön.
Die dritte Frage war am schwierigsten, denn eigentlich habe ich dafür bisher nichts getan. Es waren andere, die mich bestärkt haben, ebenso wie es andere sind, die meinen Selbstwert wieder schwächen. Stephanie erzählte mir, dass ein Ausbilder mal während einer Übung zu ihr gesagt habe, dass sie diejenige sei, die entscheiden dürfe, wer ihren Selbstwerttopf füllen dürfe.
Mein Selbstwerttopf darf auch ein ganz realer Gegenstand sein, in den ich Zettelchen tun kann, auf die ich tolle Eigenschaften schreiben kann oder was ich gut gemacht habe. Zitate von Menschen, die mein Selbstwert stärken. Stephanie half mir dabei, einige Eigenschaften zu finden, die ich mir aufschreiben sollte. Es kam eine kleine Liste zusammen. Ich möchte mir einen kleinen Blumentopf aus Ton besorgen und bemalen. Das soll mein Selbstwerttopf werden, den ich mir auf die Fensterbank im Schlafzimmer stellen werde.

Da ich meinen Selbstwert bisher stark über andere definiert habe, sprach Stephanie mit mir über soziale Vergleiche. Sie erklärte mir, dass es da verschiedene Möglichkeiten gibt und prinzipiell zwei Richtungen. Wir können uns nach oben oder unten vergleichen, mit Menschen, die besser oder schlechter sind als wir, in dem Aspekt in dem wir uns vergleichen. Das können zum Beispiel berufliche Fähigkeiten sein, das Muttersein, ein guter Mensch sein oder auch Schönheit, einfach alles, worin wir uns mit anderen vergleichen.
Es sei ganz natürlich, dass wir uns mit anderen Menschen vergleichen und nicht das Ziel, es sein zu lassen. Entscheidend sei, die Auswahl der Personen, mit denen wir uns vergleichen. Ein Vergleich nach unten, zeigt uns, dass wir besser sind als andere. Das kann ein gutes Gefühl auslösen, uns bestärken. Vergleichen wir uns immer nur nach unten, könnten wir unsere eigenen Fähigkeiten überschätzen, uns weniger anstrengen, nicht mehr weiterverbessern. Ein Vergleich nach oben zeigt uns, dass andere besser sind, das könnte ein schlechtes Gefühl auslösen, aber auch einen Anreiz bieten, dass wir selbst besser werden. Um einen Ansporn aus einem solchen Vergleich zu ziehen, braucht es die passende Person, die eben etwas besser ist, zum Beispiel eine Kollegin, die einfach schon etwas mehr Erfahrung hat, vielleicht sogar sympathisch ist und bereit ihr Wissen zu teilen. So könnte ich direkt von ihr lernen und das, was sie bereits besser kann als ich, erscheint für mich realistisch erreichbar. Wenn ich mich im Bogenschießen mit meinen Vereinskolleginnen vergleiche, die ähnliche lange dabei sind wie ich, ist das ein Vergleich auf meinem Niveau. Vergleiche ich mich mit der Weltmeisterin, ist es ein utopischer Vergleich. Wichtig ist eine relative Ähnlichkeit beim Vergleichen.
Mir fiel auf, dass ich mich vor allem in meiner Mutterrolle mit einer Frau vergleich, die ganz andere Möglichkeiten hatte als ich. Ihre eigene Mutter war Rentnerin und wohnte gleich nebenan, sie kümmerte sich täglich um die beiden Kinder, wenn sie aus der Schule kamen. Außerdem gab es eine Haushaltshilfe und somit hatte sie eine ganz andere Entlastung als ich. Ihre Kinder hatten meines Wissens bisher auch keine Diagnosen oder Auffälligkeiten. Ich liebe Lukas und seit wir verstanden haben, dass er Autist ist, ist vieles leichter. Der Weg dahin war eine Herausforderung gewesen.
Inzwischen habe ich eine kleine Gruppe autistischer Mütter gefunden und wenn ich mich mit denen vergleiche, schneide ich gar nicht so schlecht ab. Es gibt in der Gruppe Mütter, denen es noch schwer fällt zu akzeptieren, dass ihr Kind anders ist. Damit habe ich gar kein Problem. Dann gibt es einige, die einen Vorsprung haben, weil ihre Kinder älter sind und sie bereits mehr und andere Erfahrungen gemacht haben, von ihnen kann ich lernen, dafür bin ich ja in der Gruppe, für den Austausch. Selbst habe ich schon gute Tipps geben können, das hat mir sehr gutgetan.
Neben den sozialen Vergleichen gibt es auch die Dimension, sich mit sich selbst zu vergleichen. Ich könnte meine aktuelle Mutterrolle vergleichen mit der, bevor wir den Diagnostikprozess mit Lukas begonnen haben. Damals habe ich mich ständig hilflos und überfordert gefühlt. Jetzt war ich tatsächlich selbstbewusster, wusste, was ich tat. Beim Bogenschießen war es noch einfacher. Als ich angefangen habe, war ich stolz, wenn ich überhaupt die Scheibe getroffen habe, inzwischen setzte ich mir ganz andere Ziele.

Am Ende der Sitzung dankte ich Stephanie, dass sie mich selbst wieder aufgebaut habe. „Das bist du gewesen“, sagte sie und lächelte mich an.
„Vielleicht.“
„Nicht vielleicht. Es ist alles in dir, wir haben es nur gemeinsam offen gelegt.“
Ich lächelte, das klang schön.
„Sprich es aus“, bat Stephanie und ich wusste nicht, was sie meinte. „Sag dir einmal selbst, dass du ein liebenswerter Mensch bist.“
Das ist mir vielleicht schwergefallen, aber ich habe es geschafft und jetzt schreibe ich es für mich selbst auf. Ich bin eine wunderbare Mutter, eine liebenswerte Frau, eine wertvolle Angestellte und eine passable Bogenschützin.

Sandra ist eine fiktive Figur, sie soll dir zeigen, wie eine systemische Beratung aussehen könnte.
Lies hier mehr über sie und meine anderen Figuren.

Dieser Beitrag ist inspiriert von der Selbstwert-Box von Jacob & Seebauer aus dem Beltz Verlag.

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