Sandra
„Jetzt bin ich dran!?“
Sandra
Verheiratet, Mutter von zwei Kindern, steht vor einer neuen Jobchance. Die letzte Zeit war geprägt von privaten Herausforderungen, Schwierigkeiten in der Beziehung. Eine Stimme in ihr wird immer lauter: Jetzt will ich mich auch mal um mich kümmern.
Du kennst Sandra noch nicht? Sie ist eine fiktive Figur. Lies hier die erste Etappe ihrer Kometenreise.
Es hatte mir gutgetan, mich mit mir und meinem Selbstwert zu befassen. Seit dem Gespräch mit Stephanie achtete ich stärker darauf, mit wem ich mich verglich. Allerdings fing ich auch an, mich mit mir selbst zu vergleichen und kam zu dem für mich erschreckenden Schluss, dass es eine Zeit in meinem Leben gegeben hatte, in der ich glücklicher war. Das frustrierte mich zum einen, machte mir aber auch ein schrecklich schlechtes Gewissen, weil ich meine Familie doch liebe und mich nach einer Zeit ohne sie zurücksehne.
Um diese Zerrissenheit bei mir aufzulösen, machte Stephanie mit mir eine Übung, die sie Ambivalenzwippe nannte und auf mein Anliegen abwandeln wollte. Ich sollte mir vorstellen, wie meine Gegenwart und meine Vergangenheit auf einer Wippe auf dem Spielplatz säßen. Das Bild war prima, denn genau so fühlte es sich gerade an, ich wippte hin und her, zwischen der Sehnsucht nach meinem unabhängigen Vergangenheits-Ich und meinem aktuellen Ich, denn objektiv gesehen, ging es mir doch gut mit dem tollen Job und der Familie.
Für die Übung brauchte ich Papier, mehrere kleine Blätter, einen Stift und ein wenig Platz auf dem Boden. Dort sollte ich mir die Wippe vorstellen.
Da stand ich nun in meinem Esszimmer vor dem Notebook mit einem kleinen Zettelblock in der linken Hand, einem Stift in der rechten und stellte mir vor, auf meinem Fußboden stünde eine Wippe.
„Wenn du jetzt an deine Vergangenheit denkst, was war damals besonders schön für dich?“, fragte Stephanie.
„Ich war frei, unabhängig, habe viel erlebt.“
„Gut, schreib jede Idee auf einen eigenen Zettel. Du hast viel erlebt, sagst du. Mach das noch konkreter, was hast du erlebt und mit wem?“
Ich fing an zu schreiben, füllte die Zettel und legte sie auf den Boden auf die linke Seite der Wippe, die für meine Vergangenheit stehen sollte.
Als ich aufhörte zu schreiben, fragte Stephanie „Und was noch?“
Ich überlegte, füllte weitere Zettel, bis mir nichts mehr einfiel. Was war das doch für eine tolle Zeit gewesen.
„Wenn du magst, gehen wir jetzt in die Gegenwart. Was ist heute schönes in deinem Leben?“
„Meine Kinder, mein Job, …“
„Gut, schreib auch das auf.“
Ich schrieb und es fiel mir schwerer, mir schöne Dinge zu überlegen.
Meine Wippe füllte sich mit Karten. Es entstanden quasi zwei Kreise auf meinem Boden in einem gewissen Abstand voneinander.
„Wenn du so weit bist, leg mal dein Papier und die Stifte auf Seite und stell dich mitten auf die Zettel für deine Vergangenheit. Schließ gerne deine Augen. Stell dich mit beiden Beinen fest auf den Boden und spüre mal, wie es sich dort anfühlt.“
„Fühlt sich toll an.“
„Wo in deinem Körper spürst du es?“
„Ich fühle mich leicht und frei, ich möchte tanzen.“ Meine Füße begannen zu wippen und meine Arme leicht zu schlenkern. Stephanie ließ mir einen Moment, dann bat sie mich, die Augen zu öffnen, einen Schritt nach vorne zu gehen.
„Wenn du magst schüttel dich mal oder klopf dir Arme ab. Dann geh hinüber auf die andere Seite. Stell dich mitten auf deine Zettel und fühl mal, wie es sich dort anfühlt.“
„Vertraut“, war mein erster Gedanke, welcher mich überraschter. „Schwerer. Sicherer, gar nicht so übel. Hatte gedacht, dass wäre jetzt unangenehm.“
„Interessant. Inwiefern fühlst du dich schwerer?“
„Meine Füße stehen fest auf dem Boden, meine Arme sind schwer. Auf der anderen Seite hatte ich das Gefühl, ich könnte leichter hüpfen. Es ist nicht mein Körpergewicht, auch wenn ich damals ein paar Kilo weniger hatte, mehr so eine Schwere in den Gliedern, die gar nicht unangenehm ist, mehr anders.“
„Es ist anders. Was ist gut an dem anders?“
„Ich weiß, wo ich hingehöre. Da ist weniger Angst und Ungewissheit.“
„Weniger Angst und Ungewissheit. Magst du nochmal auf die andere Seite gehen?“
Ich ging rüber, spürte erneut die Leichtigkeit, das Gefühl ich könnte hüpfen und springen.
„Was ist da noch in deiner Vergangenheit?“, fragte Stephanie.
„Es war nicht alles leicht. Da war auch viel Schmerz, Angst, Konflikte und Geldsorgen.“
Stephanie ließ mich ein paar Mal hin und her laufen, die Positionen der Vergangenheit und Gegenwart spüren, dann sollte ich mich hinter meine Wippe stellen, etwa in der Mitte.
„Wenn du jetzt auf deine Wippe schaust, was geht dir durch den Kopf?“
„Ich habe meine Vergangenheit idealisiert, nur das Schöne gesehen, nach dem ich mich gesehnt habe und die Probleme ausgeblendet.“ Stephanie wartete einfach ab und ich erzählte, was mir auffiel. „Mit der Gegenwart habe ich das Gegenteil gemacht, nur die Probleme, den Stress gesehen, nicht mehr das Schöne. Die Sehnsucht nach, ich weiß gar nicht wonach, hat alles dominiert. Jetzt ist meine Wippe wieder im Gleichgewicht. Es ist mein Leben und es war nie perfekt, wird es nie sein. Es ist meins.“
Mir kamen Tränen und ich wischte sie mit dem Ärmel weg.
„Wenn du aus deiner Beobachterposition heraus deinem Vergangenheits-Ich etwas sagen könntest, was wäre das?“
„Du hättest dein Leben noch mehr genießen können und dir weniger Sorgen machen brauchen.“
„Und deinem heutigen Ich?“
„Dasselbe“, sagte ich und musste lachen. „Ich sollte mit dem Genießen echt mal anfangen, ganz bewusst.“
„Was möchtest du gerne genießen?“
„Dass es uns gut geht und ich mir nicht so viele Sorgen machen brauche. Die Zeit mit meiner Familie, mit Freundinnen, die Zeit für mich alleine. Davon gibt es wenig, aber es gibt sie.“
„Magst du dir ein paar Ideen auf neue Zettel schreiben?“
Das wollte ich gerne, bat um eine kurze Auszeit, weil ich wusste, dass meine Tochter einen bunten Zettelblock auf ihrem Schreibtisch hatte.
Ich schreib die vielen Kleinigkeiten auf, an denen ich mich in meinem Leben erfreuen wollte und legte sie um die weißen Zettel herum, teilweise doppelten sich die Aussagen, aber es entstand ein schönes Bild.
„Wenn du jetzt nochmal auf die Vergangenheit schaust, was von dem, was damals schön war, möchtest du heute auch erleben und genießen?“
Ich ging ein wenig nach links und stellte mich vor den Teil meiner Vergangenheits-Wippe. „Ich möchte wieder mal tanzen gehen, mich jung und frei fühlen. Dafür bin ich doch noch nicht zu alt.“ Ein wenig musste ich mich selbst auslachen, denn genau das hatte ich früher immer gesagt, ich wollte nie zu alt werden, um Spaß zu haben.
Es fielen mir noch ein paar Dinge ein, die ich auf Zettel schrieb.
„Wo soll ich die jetzt hinlegen?“, fragte ich Stephanie ratlos.
„Was würde sich denn für dich stimmig anfühlen?“
Ich ging vor meiner Wippe hin und her, blieb dann in der Mitte stehen und legte sie ab. „Hier am Drehpunkt meines Glückes. Es ist das Schöne, was ich liebe und mir bewahren möchte. Dinge, die mein Vergangenheits-Ich getan hat und mein Gegenwarts-Ich wieder mehr tun könnte.“
Zum Abschluss fragte Stephanie, wie es mir jetzt ginge und was mein nächster erster Schritt sein würde. Ich fühlte mich besser als vorher, ausgeglichener und nicht mehr so verzweifelt. Da war einiges, was ich tun wollte. Nach dem Termin hatte ich noch ein wenig Zeit für mich, da würde ich eine Freundin anschreiben und ihr vorschlagen, dass wir mal wieder zusammen ausgehen würden. Dann würde ich die Kinder abholen und mit ihnen in den Park gehen, das Wetter war traumhaft. Auf dem Heimweg könnten wir noch schnell einkaufen und heute Abend würde ich mal mein Lieblingsessen kochen, auch wenn die Kinder davon nicht alles essen würden, mein Mann mochte es auch gerne.
Und genau das habe ich dann auch gemacht. Meine Tochter hatte einen miesen Tag im Kindergarten gehabt, aber das konnte mir meine Laune nicht verderben. Im Gegenteil, ich hörte mir ihre Sorgen an und im Park angekommen, lachte sie wieder. Ich beobachtete die beiden beim Spiel und erkannte, dass wir in jedem Alter unsere Sorgen haben und das Leben schön sein kann.
Sandra ist eine fiktive Figur, sie soll dir zeigen, wie eine systemische Beratung aussehen könnte.
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