Wegkreuzung in hügeliger Landschaft, Hinweistafel mit "Matthias Kometenreise"
Matthias

„Ist es zu spät für einen Neuanfang?“

Matthias

Geschieden, zwei Teenie-Töchter, die er unregelmäßig sieht. Beruflich fühlt er sich ausgebrannt. Eine neue Beziehung weckt in ihm das Gefühl, dass es sich für ihn lohnen könnte, sich nochmal neu zu orientieren, aber er weiß nicht so recht wie er das anstellen soll.

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Du kennst Matthias noch nicht? Er ist eine fiktive Figur. Lies hier die erste Etappe seiner Kometenreise.

Ich habe mich krank schreiben lassen. Mir ist gerade alles zu viel. Zum Glück musste ich nicht in die Praxis gehen, weiß nicht, wie ich das hätte schaffen sollen. Es ging telefonisch, da meine Hausärztin aktuell ziemlich überlastet ist.

Den Anruf habe ich aus dem Bett erledigt und dann erstmal wieder geschlafen. Rainer hat angerufen, mehrfach. Habe ihn ignoriert. Irgendwann stand er an meinem Bett. Er hat einen Schlüssel. Er hat es geschafft mich unter die Dusche zu schicken. Danach haben wir zusammen auf dem Sofa gesessen, er hat gekocht. Ich mag Rainer. Manchmal ist er furchtbar anstrengend.

„So geht das nicht weiter“, hat er gesagt und ist erst gegangen, nachdem ich eine Mail an Stephanie mit Bitte um einen Termin geschickt habe.

Ich bin zurück ins Bett. Eigentlich war es mir auch zu viel, zu reden. Das Notebook holte ich mir ans Bett, packte mir ein großes Kissen in den Rücken und so ging es einigermaßen. Vielleicht hatte Rainer ja doch keine so schlechte Idee, hat mir ja vorher auch schon gut getan. Eigentlich möchte ich mich lieber wieder hinlegen und einfach schlafen.

Wegkreuzung Blumenwiese

„Auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 1 niedrig und 10 hoch ist, wie stark ist dein Verlangen gewesen im Bett zu bleiben, zu dem Zeitpunkt, als du dich krank gemeldet hast?“, fragte Stephanie mich in unserem Gespräch.

„Eine 7.“

„Ist das für dich ein hoher Wer?“

„Schon ja.“

„Und wie hoch ist dein Verlangen jetzt gerade?“

„6, aber ich bin ja auch im Bett.“

„Das ist in Ordnung, dass du das bist. Darüber haben wir ja eingangs gesprochen. Wichtig ist mir, dass es für dich so gut funktioniert.“

„Danke.“

„Kannst du mir sagen, wie du von der 7 auf die 6 gekommen bist?“

Ich glaube, es hat sich verändert, nachdem Rainer weg war und ich den Terminverschlag angenommen hatte. Es macht mir zwar Stress darüber reden zu müssen, aber auch irgendwie Hoffnung, dass es helfen würde. Ich will nicht aufstehen. Mag mich nicht mehr so fühlen, so leer und schwer.

„Du hat gesagt, du bist aktuell krank geschrieben. Wie weit runter müsste der Wert gehen, damit du sagen würdest, du fühlst dich in der Lage wieder arbeiten zu gehen?“

„Mindestens eine 4, besser 3.“

„Aktuell bist du bei einer 6. Lass uns schrittweise vorgehen. Was würde für dich eine 5 bedeuten? Du brauchst nicht arbeiten gehen, aber das Verlangen, im Bett zu bleiben ist niedriger?“

„Es wäre weniger anstrengend ins Bad zu gehen oder mir etwas zu essen zu holen. Ich könnte vielleicht aufs Sofa. Rainer käme vorbei und es wäre nett.“

„Klingt das schön für dich?“

„Ja, das wäre besser als jetzt. So alleine mit meinem Kopf ist nicht gut. Fühle mich so leer und dann gehen die Gedanken wieder los, da wird mir ganz schwindelig von. Ich will nicht denken. Nicht denken ist auch gruselig. Keine Ahnung, was ich will. Habe keine Kraft.“

„Was denkst du, brauchst du, um auf eine 5 zu kommen?“

„Keine Ahnung. Wie gesagt, ich habe keine Kraft. Das hier ist auch anstrengend gerade.“

„Es ist anstrengend und du schaffst es. Du bist auf einer 6 und redest mit mir. Wärst du bereit ein kleines Experiment zu machen?“

„Klar.“

„Kannst du bitte mal aus dem Fenster schauen und mir erzählen, was du siehst?“

Ich drehte den Kopf und streckte mich ein wenig. Da sind Autos, Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Es regnet.

Stephanie hörte zu und stellte fest, dass ich dafür nicht mal aus dem Bett habe aufstehen müssen. Sie bat um ein weiteres Experiment. Das erste war leicht, also stimmte ich einem weiteren zu.

„Wähle ein Outfit aus deinem Kleiderschrank, als würdest du etwas unternehmen wollen.“

Na, ausgehen würde ich heute definitiv nicht, aber warum nicht. Ich legte das Notebook beiseite und ging zu meinem Kleiderschrank. Ich zog meine Lieblingsjeans aus einem Stapel, warf sie aufs Bett. Dazu mein grünes Hemd, ein T-Shirt, Unterwäche, Socken. Würde ich einen Pullover oder ein Jackett dazu brauchen? Egal, ich würde eh nicht raus gehen.

Mir wurden die Knie weich und ich setze mich auf den Boden. Ich griff nach dem Notebook und drehte es zu mir. „Fertig“, sagte ich.

„Super“, lobte Stephanie mich und fragte, wo ich jetzt sei.

„Auf dem Boden vor meinem Bett.“

Wir sprachen darüber, wie es mir dort ging. Ich beschrieb, dass ich mich schwer und zittrig fühlte. Stephanie ließ mich atmen, bis das Zittern besser wurde. Dann sprachen wir nochmal über mein Outfit. Ich konnte mir nicht vorstellen, es anzuziehen. Statt der Lieblingsjeans wählte ich eine frische Jogginghose und einen Pulli statt dem Hemd.

„Bist du bereit, ins Bad zu gehen?“

Ich war bereit es zu versuchen. Dazu stellte ich das Notebook auf die Kommode im Flur, schaltete die Kamera aus und machte dann langsam einen Schritt nach dem anderen. Zwischendurch hielt ich inne, um zu atmen, wenn das Zittern wieder anfing, wie Stephanie es mir geraten hatte. Ich ging Zähne putzen, dann erzählte ich Stephanie davon. Irgendwann war ich geduscht und angezogen.

Mit dem Notebook ging ich zu meinem Tisch und schaltete die Kamera nochmal ein.

„Fertig“, sagte ich nur.

„Du bist einen Schritt nach dem anderen gegangen und ich sehe, du bist jetzt dort, wo wir sonst immer sprechen.“

Ich nickte nur.

„Du bist erschöpft?“

Wieder nickte ich.

„Du hast einiges gemacht. Hast dir ein Outfit rausgesucht, hast Zähne geputzt, geduscht, dich angezogen und du bist aus deinem Bett raus.“

„Ja. Das war anstrengend.“

„Wie hoch ist dein Drang gerade, wieder zurück ins Bett zu gehen?“

„Ich will einfach hier sitzen bleiben.“

„Einfach sitzen bleiben, das ist in Ordnung. Es ist jetzt später Vormittag. Könntest du dir vorstellen, eine Weile außerhalb des Bettes zu bleiben heute?“

„Ja, vielleicht. Ist mir gerade eh zu weit weg.“

„Was könntest du hier am Tisch machen?“

„Ich könnte mir eine Serie ansehen, das würde mich vom Denken abhalten.“

„Hast du das in den letzten Tagen auch mal gemacht, eine Serie geschaut?“

„Nein.“ Ich hatte daran gedacht, aber es war mir zu anstrengend gewesen, das Notebook zu holen und auf dem Handy mag ich nicht gucken.

„Fällt dir noch was ein?“

„Später könnte ich hier am Tisch was essen.“

„Gut, vielleicht reicht das auch für heute. Eine Serie gucken und am Tisch zu essen. Was meinst du?“

Das reicht mir vollkommen.

Stephanie lobte nochmal meine kleinen Schritte. Dabei waren es Dinge, die sonst selbstverständlich waren, sich gerade anfühlten, als sei ich einen Marathon gelaufen. Wir machten einen neuen Termin für den nächsten Tag aus und sie versicherte mir, dass beides ok sei. Aus dem Bett oder vom Tisch aus zu sprechen.

Matthias ist eine fiktive Figur, er soll dir zeigen, wie eine systemische Beratung aussehen könnte.
Lies hier mehr über ihn und meine anderen Figuren.

Während einer depressiven Episode scheinen alltägliche Dinge manchmal unmöglich. Was sonst im Alltag selbstverständlich ist, kostet unfassbar viel Kraft. Es hilft dann nicht zu sagen: „Reiß dich doch einfach mal zusammen.“ Es geht dann um ganz kleine Schritte. Das darf dann auch ganz bewusst und langsam passieren. Nahestehende Personen stehen dann oft hilflos daneben, würden gerne helfen, wissen nicht wie. Sei da, biete deine Gesellschaft und Unterstützung an. Akzeptiere, falls dies unerwünscht ist. Übe keinen Zwang aus, erwarte nicht zu viel. 

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