In ihrer 26. Blognacht hatte Anna Koschinski  einen tollen Schreibimpuls für uns „Das hat mich sprachlos gemacht“.

Ein interessantes Thema! Schon oft habe ich solche Situationen erlebt, doch in dem Moment fiel mir einfach keine passende Geschichte ein. Dabei gibt es so vieles, was mich immer wieder sprachlos macht. Tatsächlich hat mich in diesem Moment der Impuls erstmal sprachlos gemacht. Da mir keine spontane Geschichte kam, fing ich an mich mit dem Thema zu befassen und so entstand dieser Beitrag.

Was bedeutet es für mich sprachlos zu sein?

Wenn ich unerwartet mit Informationen oder Äußerungen konfrontiert werde, fällt mir manchmal spontan erstmal nichts ein. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Auch, wenn andere mich persönlich verletzten, bin ich oft sprachlos. Manchmal braucht es auch etwas Zeit, bis ich realisiere, was da tatsächlich passiert ist und wie sehr das eigentlich nicht in Ordnung gewesen ist.

Es geht dann bei mir meist mit Fassungslosigkeit einher oder starken anderen Emotionen, die erstmal den Raum einnehmen, bevor die Kognitionen wieder übernehmen können. Wahrnehmen, denken, verarbeiten und verbal reagieren können – der Prozess verzögert sich etwas.

Sprachlosigkeit in der Beratung

Neulich schaffte es ein Klient, mich sprachlos zu machen. Seine Geschichte kann ich selbstverständlich nicht teilen, daher beschränke ich mich auf meinen persönlichen Moment der Sprachlosigkeit. Er erzählte mir von einer Situation, die so unfassbar war, dass ich sie mir als Autorin so niemals hätte ausdenken können. Ich schwieg einen Moment, sagte dann, dass ich das erstmal verarbeiten müsse und benannte es schliehlißelich als das, wie ich es empfunden hatte, als unglaublich, ohne dass ich daran zweifelte, dass mein Klient das genau so erlebt hatte.

Ist es in Ordnung sprachlos in der Beratung zu sein?

Ich finde ja, denn es ist authentisch und es ist die Resonanz, die in dem Moment zur Verfügung steht. Meinem Klienten konnte ich damit signalisieren, dass ich die Geschichte ebenfalls als außergewöhnlich und das Verhalten der beteiligeten Person als unangemessen empfinde. Mein Klient konnte sehr gut mit meinem kurzen Moment der Sprachlosigkeit umgehen, erzählte mir nach und nach wie es weiter gegangen war.

Für beide Seiten ist es wichtig, dass die Kommunikation stimmig ist, dass wir uns auf ein Gesprächstempo einschwingen, das dem Gesprächsinhalt angemessen ist. Genauso dürfen wir zusammen lachen und es darf auch geweint werden. Es geht dann nicht darum auszuhalten, sondern die Situation halten zu können. Eine tolle Formulierung, die ich heute aus einem Seminar von Anna Wilde bei Krisenchat mitgenommen habe.

Gibt es auch positive Sprachlosigkeit?

Auf jeden Fall. Diese äußert sich bei mir dann auch gleich ganz anders. Das geschieht in schönen oder überraschenden Situationen. Dann bin ich überwältigt und weiß erst einmal nichts zu sagen. Nach einem emotionalen sprachlosen Moment, kommt die Sprache doch meist wieder und es kommt beispielsweise ein „Danke“ und nach und nach weitere Sätze.

Wenn uns andere Menschen sprachlos machen, wie können wir damit umgehen?

Wenn du sprachlos bist, wie ich zu Beginn mit diesem Schreibimpuls, beginne dich auf deine Art mit dem Thema auseinander zu setzen. Versuche es aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Wenn du sprachlos bist, weil dich eine unfassbare Nachricht erreicht, kannst du dir ebenfalls Zeit mit der Reaktion lassen. Lass die Emotionen zu, die kommen und wenn du so weit bist, ist da genügend Raum für eine kognitive Auseinandersetzung.

Herausfordernd sind die Situationen, in denen uns andere Menschen in direkter Kommunikation sprachlos machen.

Welche Möglichkeiten bleiben uns dann?

Zum einen können auch hier Emotionen im Vordergrund stehen. Was hilft dir, dich schnell wieder zu beruhigen oder zu erden?

Vielleicht hilft es, tief durchzuatmen. Vielleicht hilft es, dich kurz mit dem Ort zu verbinden, wo du bist oder dir einen ermutigenden Satz zu sagen, den du dir in ruhigen Zeiten zurecht legst. Möglicherweise weißt du, welche Situationen dich sprachlos machen. So findest du vielleicht auch den passenden Satz, der dich in solchen Situationen wieder kommunikationsfähig macht.

Falls du tatsächlich jetzt an bestimmte Situationen denkst, die wiederkehren und dich regelmäßig sprachlos machen, hast du die Chance, dir Antworten zurecht zu legen, die du beim nächsten Mal nutzen kannst. Du könntest auch ähnliche Situationen üben mit einer Freundin oder einem Freund oder in einem Beratungsgespräch.

Manchmal wünschen wir uns schlagfertiger gewesen zu sein, uns die Situation nicht gefallen lassen zu haben. Dann gibt es diesen blöden Satz „Hinterher ist man immer schlauer“. Doch wir können für das nächste Mal auch vorher schlauer sein.

Wenn dir beim nächsten „hinterher“ tolle Erwiderungen einfallen, schreib sie dir doch mal auf. Vielleicht kannst du sie in einer nächsten möglicherweise sprachlosen Situation nutzen. Ebenso kannst du „Sprüche“ von anderen sammeln, die dir gefallen. Jedes Mal, wenn du etwas Neues deiner Liste hinzufügst, liest du die anderen Ideen nochmal durch und verinnerlichst deine Liste nach und nach.

Ein Werkzeug kann dabei Humor sein. Nimm dem Gesagten, das dich sprachlos macht, die Ernsthaftigkeit. Dabei entgehst du möglicherweise einer direkten Konfrontation und vielleicht gelingt es dir für einen Moment die andere Person sprachlos zu machen. Natürlich ist das nicht einfach und ich will dir deinen Schmerz oder andere Emotionen nicht absprechen. Es geht darum, wie du mit der akuten Situation umgehen könntest. Was du letztendlich tust, ist deine Entscheidung und hängt natürlich stark von der Situation ab und wie es dir in dem Moment damit geht. Die Situation zu verlassen ist fast immer eine Option, oft auch dann, wenn es diese scheinbar nicht gibt.

Wie funktioniert das mit dem Humor?

Du könntest der Person erstmal Recht geben und das durch etwas Absurdes ergänzen. Platt könntest du auch sagen: „Stimmt, ist mir noch gar nicht aufgefallen.“

Falls dich jemand beleidigt, könntest du auch antworten „Lieber das, als `füge etwas ein was du so gar nicht sein magst`“

Passend zum Kontext fallen dir vielleicht noch bessere Antworten ein. Entscheidend ist, die aktuelle Gesprächsebene zu verlassen und durch deine Worte zu irritieren, ohne selbst aggressiv in den Konflikt zu gehen.

Du könntest beispielsweise das Gegenteil behaupten oder dich auf ein Detail der Aussage konzentrieren und dieses in einen ganz anderen Kontext setzen, um den es gar nicht ging. So gelingt dir wahrscheinlich eine Irritation. So findest du möglicherweise zurück zu dir und kannst bewusst entscheiden, ob du in einen Dialog gehst, oder die Situation verlässt, ohne später das Gefühl haben zu müssen, die ander Person habe die Situation für sich entschieden

Manchmal ist Sprachlosigkeit vielleicht auch eine Schutzfunktion

Selbst bin ich eher impulsiv und denke mir daher manchmal. „Hätte ich mal besser meine Klappe gehalten“. Somit ist Sprachlosigkeit vielleicht auch eine Chance, nicht direkt zu reagieren. Den Emotionen ihren Raum geben und erst, wenn du wieder bereit bist, sachlich zu reagieren oder eben gar nicht, dann aber auch nichts unpassendes geäußert zu haben.

Es gibt Situationen, in denen scheint es unmöglich angemessen zu reagieren.

Sind es Situationen, in denen andere übergriffig, respektlos, beleidigend oder ähnliches sind, genügt vielleicht ein einzelnes Wort, nämlich „Stopp“, um die Situation zu unterbrechen. Dieses darf auch gerne wiederholt werden.

Teilt jemand mit dir eine persönliche Geschichte und du bist sprachlos, ist Schlagfertigkeit natürlich unangebracht. Auch hier kann Sprachlosigkeit eine Schutzfunktion sein. Nimm das, was du gerade empfindest und benenne es. Nutze, was gerade da ist und drücke aus, wie es dir damit geht. Erzähle nicht eine eigene Geschichte, bleib bei der, die du gerade gehört hast. Du bietest Resonanz, das ist empathisch, vermittelt Verständnis und in einem weiteren Schritt könnt ihr gemeinsam in einen Dialog gehen. Du darfst auch Fragen stellen. Wir müssen nicht zu allem immer gleich eine Meinung haben. Es ist vollkommen ok auch mal nicht zu wissen, was wir dazu sagen sollen. Sprich das ruhig aus, das kann hilfreich sein.

Und was noch hilft: Selbstwert und Selbstbewusstsein

Sei dir deiner persönlichen Stärken und Ressourcen bewusst. Dann können andere dich nicht so leicht verunsichern. Irritieren vielleicht, aber wenn du dir deiner selbst und deiner Werte bewusst bist, gelingt es dir leichter in überraschenden oder unangemessenen Situationen zu reagieren, nämlich in Einklang mit deinen Überzeugungen. Du kennst deine Rechte und brauchst dir von anderen nichts gefallen zu lassen. Ebensogut kannst du anderen beistehen, die dir von Erlebnissen erzählen, die unfassbar krass sind. Sich einen kurzen Moment zu nehmen, bevor wir etwas aussprechen ist dabei vollkommen in Ordnung.

Und was macht dich sprachlos?

Gibt es vielleicht Situationen der Sprachlosigkeit, die in eine ganz andere Richtung gehen, in die ich beim Schreiben dieses Beitrages gar nicht gedacht habe?

Erzähl mir gerne davon oder schreib deinen eigenen Beitrag zu Annas Impuls „Das hat mich sprachlos gemacht.“ Falls du diesen veröffentlichst, freue ich mich über einen Link, denn das Thema finde ich sehr spannend. Schau gerne auch bei Anna vorbei, die demnächst einen Rückblick zur Schreibnacht veröffentlicht, worin sie die Beiträge zum Impuls sammelt.